Votum Augenblick mal! 2017, Dr. Azadeh Sharifi
„Konferenz der wesentlichen Dinge von pulk fiktion überzeugt, weil es nicht nur den Theaterraum zu einem partizipativen und interaktiven Spiel transformiert, sondern auch auf eine spielerische Art und Weise soziale Normen und Grenzen unserer Gesellschaft Stück für Stück dekonstruiert. Nicht nur die großen Fragen der Demokratie, sondern auch kleine Fragen des Umgangs mit und der Anerkennung von verschiedenen Erfahrungsgrundlagen und Lebensexpertisen werden in dieser Performance gestellt.“
Was ist, wenn Familie nicht mehr der Natur gehorchen muss? Wenn man sie sich selber aussuchen kann? Welche Freiheiten entstehen? Wer kümmert sich um wen? Eine für alle, alle für eine? Oder ganz anders?
An einem großen Tisch kommt eine untereinander unbekannte Gruppe von Kindern und Erwachsenen zusammen. Familie steht auf dem Spiel. Die Verhandlung beginnt. Ein Lautsprecher legt den Teilnehmenden Worte in den Mund. Werden sie widersprechen? An diesem Ort zwischen Theater und Spielplatz wird abgestimmt, ausprobiert, beobachtet und erlebt, werden die Rollen stetig neu verteilt.
Die interaktive Performance für Menschen von 10 bis 99 Jahren geht mit den 20 Teilnehmer:innen auf die Suche nach der Bedeutung von Verwandtschaft, Verantwortung und Abhängigkeit und einem gemeinsam definierten Zusammenleben von Kindern und Erwachsenen.
Herzlich Willkommen bei der Konferenz der wesentlichen Dinge.
Heute geht es um Wesentliches. Heute geht es um Euch.
Eine Gruppe, die sich mehr oder weniger zufällig zusammen gefunden hat.
Eine Gruppe, die sich so noch nie getroffen hat.
Eine Gruppe, von Leuten mit unterschiedlichem Alter.
Was könnt ihr miteinander anfangen? Könnt ihr etwas miteinander anfangen?
Manche von Euch waren schon sehr häufig im Theater, wissen aber trotzdem nicht, was sie heute hier erwartet.
Die anderen wiederum haben die meiste Zeit ihres Lebens viel gespielt, und sind vielleicht deshalb für heute besonders gut vorbereitet.
Denn heute spielt ihr Wahlfamilie. Der Tisch ist euer Spielbrett, die Knöpfe und Hörer eure Karten und ihr seit die Spielerinnen und Spieler.
Preise und Auszeichnungen
Bibu – performing arts biennial for children and youth Helsingborg Schweden 2018
AUGENBLICK MAL! – Festival für junges Publikum 2017
Schäxpir – Theaterfestival für junges Publikum 2017
echt.jetzt! Festival 2017
Hildesheimer Kinder- und Jugendtheaterwoche 2017
westwind – theatertreffen für junges publikum in NRW 2015 (Lobende Erwähnung)
HART AM WIND – 5. Norddeutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival (Kinderjurypreis)
Starke Stücke 2016
FAVORITEN 2016
Best OFF Niedersachsen – Festival Freier Theater 2016
KUSS! 21. Hessische Kinder- und Jugendtheaterwoche 2016
Festival LOOSTIK – deutsch-französisches Festival für junges Publikum 2016
nominiert für den Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis 2015
Konzept: pulk fiktion
Mit: Norman Grotegut und Manuela Neudegger
Regie: Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz
Livetechnik: Matthias Meyer und Sebastian Schlemminger
Assistenz und Stimme: Milena Wichert
Bühnenbau: One Take Toni
Produktionsleitung: Zwei Eulen – Büro für Kulturkonzepte
Mitarbeit Entwicklung: Karoline Kähler
PREMIERE und Uraufführung: 12.12.2014
Rechte: Beim Theater
Eine Koproduktion mit dem LOT-Theater Braunschweig, dem FFT Düsseldorf und dem COMEDIA Theater Köln. Ermöglicht durch flausen-young artists in residence, ein Stipendien-Modellprojekt vom theater wrede+, Oldenburg.
Gefördert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der Stiftung Niedersachsen, dem Kulturamt der Stadt Köln und dem Fonds Darstellende Künste e.V.
Spieldauer: ca. 75 – 100 Minuten (abhängig von der Spielweise der Teilnehmer*innen)
Anzahl der Mitwirkenden: 2D, 2T
Zielgruppe: Kinder ab 10 Jahren, Jugendliche und Erwachsene
Zuschauerzahl: 8 – 20 Teilnehmer*innen
Bühne: mind. 12m x 6m, Höhe 3m, Maße können ggf. abweichen – nach Absprache.
Das Stück lässt sich in jedem Raum mit Stromanschluss aufbauen.
Der Raum muss kein schwarzer Theaterraum, jedoch verdunkelbar sein.
Licht und Ton werden vom Theater mitgebracht.
Votum Augenblick mal! 2017
„Zwanzig Personen nehmen an einem runden Tisch Platz. Der Tisch, ausgestattet mit Mikrofonen, einer Art Telefonhörer und verschiedenfarbigen Knöpfen, erinnert an den Tisch im Filmklassiker Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb. Und möglicherweise ist die Intention der Spielemacher˟innen von pulk fiktion, den Teilnehmenden eine „zündende“ Macht zu geben.
Auf jeden Fall wird durch Anweisungen ein Spielrahmen von den Macher˟innen vorgegeben, den die Teilnehmenden durch gemeinsam entschiedene Regeln ausfüllen. Regeln, die für die Dauer des Spiels die Gemeinschaft als mögliche Familie strukturieren. Jede˟r hat die gleichen Rechte, jede˟r muss sich diesen gleichmäßig unterwerfen bzw. kann diese infrage stellen. Zusammen wird gefeiert, zusammen wird immer weiter entschieden, wie die Interaktion untereinander verlaufen soll. So weit, so gut.
Nun ist die Konferenz der wesentlichen Dinge gerade für Kinder und Erwachsene konzipiert. Und natürlich sind unter den zwanzig Teilnehmenden Kinder und ihre Eltern sowie Kinder und Erwachsene, die in irgendeiner Art eine Vormundschaft für diese inne haben. Und damit bekommen das Spiel und die gemeinsam erstellten Spielregeln einen anderen Twist. Denn je weiter die Gemeinschaft in das Spiel eintaucht, umso mehr lauern die Fallen der „Gleichberechtigung“ und die Grenzen unserer „unsichtbaren“ sozialen Normen: dürfen junge Menschen diese Grenzen selbst in diesem Spiel ausloten? Oder müssen die älteren Menschen in ihrer Vormundschaftsfunktion ihnen Limits setzen? Auch auf die Gefahr hin, dass die gesetzten gemeinsamen Spielregeln und die Gleichheit im Spiel gebrochen werden?
Konferenz der wesentlichen Dinge von pulk fiktion überzeugt, weil es nicht nur den Theaterraum zu einem partizipativen und interaktiven Spiel transformiert, sondern auch auf eine spielerische Art und Weise soziale Normen und Grenzen unserer Gesellschaft Stück für Stück dekonstruiert. Nicht nur die großen Fragen der Demokratie, sondern auch kleine Fragen des Umgangs mit und der Anerkennung von verschiedenen Erfahrungsgrundlagen und Lebensexpertisen werden in dieser Performance gestellt.“
Dr. Azadeh Sharifi, Kuratorin Augenblick mal! 2017
Auswahljury WESTWIND 2015
„…Humorvoll, durchdacht und scharfsinnig stellen die Theater- und Spielemacher die Vorstellung von Familie, Machtverhältnissen und Vertrauen auf den Prüfstand. pulk fiktion schafft eine Gesprächs- und Verhandlungssituation auf Augenhöhe. Hier wird nicht vermutet, was Kinder interessiert, sondern mit ihnen gemeinsam gestaltet, gelacht und diskutiert…“
Begründung Auswahljury WESTWIND Festival
„Eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe aus Kindern und Erwachsenen trifft sich zu einer „Konferenz der wesentlichen Dinge“. Und hier fängt der kluge Schachzug der Theatergruppe pulk Fiktion schon an: An einem Tisch müssen sich alle Teilnehmer des Gesellschaftsspiels auf die gleichen und vor allem unbekannten Spielregeln einlassen. Das verbindet! Denn es gibt keinen Wissensvorsprung und kein Machtgefälle. Jede Entscheidung wird gemeinsam getroffen. Und so werden alle für eineinhalb Stunden zu einer Wahlfamilie. Humorvoll, durchdacht und scharfsinnig stellen die Theater- und Spielemacher die Vorstellung von Familie, Machtverhältnissen und Vertrauen auf den Prüfstand. pulk fiktion schafft eine Gesprächs- und Verhandlungssituation auf Augenhöhe. Hier wird nicht vermutet, was Kinder interessiert, sondern mit ihnen gemeinsam gestaltet, gelacht und diskutiert.“
Julian Gerhard, echtestheater.de, 3.Juni 2015
„…Pulk Fiktion geht einen entscheidenden Schritt weiter, als die Kollegen vom Grips- oder Marabu-Theater. Hier geht es nicht darum, ein politisches Bewusstsein über das Betrachten eines Theaterspiels zu erlangen, welches sich auf die Welt da draußen bezieht. Der Verhandlungsgegenstand entsteht bei der >>Konferenz der wesentlichen Dinge<< innerhalb des Theaterraums. Politik wird gespielt, in einem sicheren Rahmen darf probiert, gewagt und gestaltet werden...Mit >>Pulk Fiktion<< hat das hiesige Kindertheater seine Avantgarde gefunden, gut so!..."
pulk Fiktion gibt das Theatermachen in andere Hände
DIE KONFERENZ DER WESENTLICHEN DINGE: >>Pulk Fiktion<< gibt das Theatermachen in andere Hände.
Auf Augenhöhe arbeiten, Kinder ernst nehmen, Kinder stark machen: Wird Kindertheater diskutiert, machen sich schnell Floskeln breit und ein klebriger Film rhetorischen Anstands schichtet sich fix über das, worum es eigentlich gehen sollte: um Kunst.
Wer vollkommen am Publikum vorbeiinszeniert, beruft sich gerne darauf, dass Kinder von heute nicht mehr in der Lage seien, sich überhaupt auf Theater einzulassen. Alles verändert sich, Kinder eben auch – out-of-time-sein ist keine Tugend.
Kindertheater: Ein schwieriges Unterfangen. Irgendwie durchpädagogisiert, unfrei und selten ergebnisoffen angelegt.
>>Heureka<< ruft da der Zeitgeist, denn >>Pulk Fiktion<< sind da und haben beachtlichen Erfolg mit ihrer ganz eigenen Idee eines Theaters für Kinder.
In ihrer beim diesjährigen Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW (Westwind) präsentierten Arbeit >>Die Konferenz der wesentlichen Dinge<< wird Theater grundlegend anders gedacht. Eine Gruppe von knapp vierzig Menschen trifft aufeinander und kommt nicht daran vorbei, miteinander zu agieren.
Gemeinsam sitzt die Gruppe an allen vier Seiten eines großen Tisches, jeder einzelne Platz verfügt über einen kleinen Apparat, der sich schnell selbst erklärt hat. Zwei Knöpfe und eine Art Mini-Telefonhörer befinden sich in einer kleinen weißen Fassung vor jedem Platz. Dieser kleine Kasten macht unmittelbare Beteiligung am Geschehen möglich.
Eine Off-Stimme fragt die bunt gemischte Gesellschaft scheinbar rein hypothetisch danach, welche Musik man für eine Party auswählen würde: grüner Knopf für laute tanzbare Popmusik, roter Knopf für seichte Beschallung in moderater Lautstärke. Nach diversen weiteren Fragen, die alles mögliche im Bereich des Zusammenlebens betreffen, beginnt plötzlich tatsächlich eine Party. Elemente wie die Art der Musik, wurden je nach Abstimmungsergebnis realisiert. Kuchen wird verteilt, das Lämpchen an meinem Apparat blinkt, ich ziehe den Hörer aus der Fassung und eine Stimme sagt mir, dass ich großzügig Schlagsahne ausgeben soll: Wird erledigt! Ich freue mich Grund zu haben, meinen Platz zu verlassen und jetzt alle Leute anquatschen zu können. Ich bin etwas irritiert, dass meine Sitznachbarin plötzlich auf dem Tisch tanzt. Diskret flüstert sie mir wenig später zu, dass ihr der Auftrag etwas Freches zu tun übermittelt wurde.
Auf diese merkwürdig ferngesteuerte Art und Weise verläuft das komplette kleine Happening, niemand wird zur Rechenschaft gezogen, für das was er oder sie tut – Spielstruktur und Rahmung federn auch alle unorthodoxen und kühnen Individualentscheidung ab. Man erfüllt die diversen Regieaufträge schlicht nach eigenem Ermessen. Irgendwann steht zur Debatte, ob jeder, also auch Kinder, heute Sekt trinken dürfen sollten. Als plötzlich tatsächlich zwei Flaschen auf dem Tisch stehen, wird es brisant. Zwei Mitglieder von Pulk Fiktion setzen sich in moderierender Haltung an den Tisch, es wird diskutiert.
Ein inszenierter Stromausfall sorgt im Laufe der Veranstaltung dafür, dass nur noch ein Drittel der Tisch-Apparate funktionieren, man schließt sich mit seinen Nachbarn zusammen, muss jetzt Entscheidungen diskutieren. Während bei der einen Gruppe hitzig Argumente ausgetauscht werden, scheinen sich andere Zusammenschlüsse wie von selbst zu einigen.
Pulk Fiktion geht einen entscheidenden Schritt weiter, als die Kollegen vom Grips- oder Marabu-Theater. Hier geht es nicht darum, ein politisches Bewusstsein über das Betrachten eines Theaterspiels zu erlangen, welches sich auf die Welt da draußen bezieht. Der Verhandlungsgegenstand entsteht bei der >>Konferenz der wesentlichen Dinge<< innerhalb des Theaterraums. Politik wird gespielt, in einem sicheren Rahmen darf probiert, gewagt und gestaltet werden. Jede Stimme zählt gleich, egal ob man 8 oder 88 ist. Es gibt keinen Verweis auf irgendwelche abstrakten Machtstrukturen – in diesem kleinen Raum entsteht für einen Moment eine autarke Gesellschaft, die die Möglichkeit hat, sich frei und anders zu definieren.
Wem jetzt vor Schrecken das Monokel ins Teetässchen gefallen ist, soll beruhigt werden: Niemand will das obligatorische Weihnachtsmärchen abschaffen, niemand will auf Narration und Einfühlung fußendes Theater für Kinder verbannen. Vielmehr sollte die Arbeit von >>Pulk Fiktion<< klar machen, was Theater sonst noch alles kann. >>Mehr Theater für Kinder<< muss die Antwort sein, sie haben ein Recht darauf andere Formate kennen zu lernen, bei denen Aktivismus nicht abgestraft wird, sondern zu Ergebnissen führt, die das Kunstwerk mitaufnimmt.
Da Gruppen der freien Szene wie >>Pulk Fiktion<< ohnehin Katalysatoren für neue Trends und Entwicklungen im Theaterbetrieb darstellen, ist stark mit Aneignung ihrer Spielstrukturen von Seiten der Stadttheater zu rechnen. Man darf sich auf einiges an Bewegung im Bereich des Kindertheaters freuen. Mit >>Pulk Fiktion<< hat das hiesige Kindertheater seine Avantgarde gefunden, gut so!
– Julian Gerhard
Benedikt Päffgen (Westwind Next Generation 2015) Westwind-Blog
„…Spielerisch hinterfragten wir dann eben gesellschaftliche Regeln und Normen und brachten sie in einen konkreten Kontext für uns, an welchem man sehr gut diskutieren konnte. Würden wir Kindern Alkohol geben? In dieser Runde ja, aber generell konnte oder wollte es keiner so genau sagen. Doch geredet und gebrüllt wurde viel. Am Ende hatten wir fast das Gefühl etwas ‚geschafft‘ zu haben, denn durch gute Spielgestaltung und Freiheit für die Spieler, wurde es zu einem (gefühlt) sehr individuellen Erlebnis….Ich bin ein Fan.“
Mitmachtheater, Benedikt Päffgen, Westwind-Blog
„Ist irgendwie für die meisten Theatergeher ein Wort, dem mit Raunen begegnet wird. Bei uns im Next Generation Forum (und an dieser Stelle spreche ich meines Wissens tatsächlich für alle 12) war das nicht anders. Trotzdem erwarten dieselben, dass die vierte Wand mindestens zeitweise außer Kraft gesetzt wird. Das Theatererlebnis (‚experience‘) soll doch auch mit uns, dem Zuschauer, zu tun haben. Wie geht das zusammen?
Es scheint, dass viele bei diesem gespenstischen Wort ‚Mitmachtheater‘ daran denken, dass sie ungefragt aufgefordert werden etwas zu tun, was in den meisten Fällen außerhalb der Comfort Zone liegt. Jetzt muss ich allerdings gestehen, dass ich selber so etwas nie erlebt habe (erleben musste?), doch die Vorstellung daran gefällt auch mir nicht. Die volle Aufmerksamkeit läge auf mir und ich hätte keine Kontrolle über die Situation. Stelle ich mir sehr bloßstellend vor.
Auf dem Westwind Festival 2015 war es jetzt allerdings fast schon zum Grundwerkzeug geworden, zumindest eine Form der Partizipation einzubauen. Das reichte von oOPiCAsSOo, also der Einladung zum freien Malen nach der Vorstellung bis hin zu vollkommener und tragender Rolle bei der Konferenz der Wesentlichen Dinge. Dazwischen lag dann alles vom Jackendiebstahl mit späterem Bedrängeln der Zuschauer (Nimmer und Nimmer Mehr), über ein Reinruf-Quiz (Grimmsklang), sowie Bühnenbewerfen (Bomba Mix) und Stimmungsabfragung, die entweder ungenutzt liegen gelassen wurde (Stones) oder tatsächlich demokratisch den Ausgang des Stückes entschied (Wilhelm Tell).
In England, wo ich derzeit Performance Arts an der Royal Central School of Speech and Drama studiere, ist das nicht anders. Immersive ist cool, die Leute zahlen fette Summen für Gruppen wie Punch Drunk, die einen hinter Masken verstecken und Teil einer anderen Welt werden lassen. Überall gibt es Promenade Performances oder intermediale Formate wie zuletzt in Deutschland besonders durch “Die Supernerds” hervorgeholt (zumindest ist dieses vermehrt bis zur Insel wahrzunehmen gewesen). Hier gibt es dann Gruppen wie Coney, die ebenfalls transmedial Shows inszenieren, welche beginnen, wenn man zuerst davon hört und erst enden, wenn man nicht mehr darüber nachdenkt – so Gruppenphilosophie.
Tassos Stevens von Coney ist es auch, der eines seiner fünf Prinzipien für partizipative Inszenierungen, das “loveliness principle” nennt, “related to ‚don’t do „evil“ by deliberately trying to fuck people up or by negligence, not taking care of the action.”[1], wo wir für mich wieder bei der Sache mit der Comfort Zone sind. Wenn etwas nicht sauber geplant ist oder tatsächlich die Bloßstellung stattfindet, ist Mitmachtheater für Zuschauer und Mitspieler unangenehm. Ist dem jedoch nicht der Fall und machen mehrere bis gar alle mit, gibt es viele tolle Beispiele, wie man in der Gruppe zusammen etwas erleben/erreichen kann.
Ein tolles Beispiel für mich ist da auf jeden Fall die Konferenz der Wesentlichen Dinge. Das gute Gefühl der Spieler stand immer im Vordergrund und wurde zur primären Aufgabe der Schauspieler, welche ansonsten bis kurz vor Ende nie im Mittelpunkt standen. Außerdem waren alle Teilnehmer gleich; durch die Festivalsituation waren sowohl viele Performance-affine aber ebenso Nichtperformer in der Runde und das kam zu keinem Zeitpunkt raus. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, das alle das Spielen genossen haben, weil wir gemeinsam Regeln aufgestellt und damit bereits Autorschaft für das Spiel angenommen haben. Dabei hat die Spielregel, Aufgaben ablehnen zu dürfen, welche von Anfang an etabliert wurde, dazu geführt, dass erst gar kein Druck entstand etwas zu tun, was man eventuell gar nicht wollte.
Spielerisch hinterfragten wir dann eben gesellschaftliche Regeln und Normen und brachten sie in einen konkreten Kontext für uns, an welchem man sehr gut diskutieren konnte. Würden wir Kindern Alkohol geben? In dieser Runde ja, aber generell konnte oder wollte es keiner so genau sagen. Doch geredet und gebrüllt wurde viel. Am Ende hatten wir fast das Gefühl etwas ‚geschafft‘ zu haben, denn durch gute Spielgestaltung und Freiheit für die Spieler, wurde es zu einem (gefühlt) sehr individuellen Erlebnis.
Jedoch es im Next Generation Forum dann eher um die Frage ging, ob es denn jetzt überhaupt noch Theater sei, weil Zuschauer zum Performer und dadurch auch zum (Teil-)autoren werden. Mir ist wichtiger, dass das Spiel geteilt wird und nicht mehr nur noch Schauspieler spielen dürfen, sondern alle miteinander. Ich denke und hoffe, dass so zusammen etwas Gutes entstehen kann, wie bei uns der Dialog und möglicherweise noch viel mehr. Gerne hätte ich mehr als einen Cent nach Köln gehen sehen, hoffe aber das weitere, ähnliche Formate folgen werden. Ich bin Fan.“
[1] Tassos Stevens in Josephine Macho : Immersive Theatres (2014)
Christian Bos, Kölner Stadt-Anzeiger, 15.5.2015
„…Eine Übung in Demokratie, von der Andreas Donau einst sang: „Langweilig wird sie nie.“ In diesem Fall kann sie sogar äußerst lustig sein. Je nach Gruppendynamik, die sich im geschützten Möglichkeitsraum entwickelt, den Biedermann ihrem Publikum zur Verfügung stellt…“
Demokratie mit Sprühsahne
Die Regisseurin Hannah Biedermann bringt Kinder und Erwachsene an einen Tisch
Fremden Kindern von seinen Beziehungsproblemen erzählen? Unter den prüfenden Blicken der Eltern am Sektglas nippen? Dem Tischnachbarn Sahne auf die Krawatte sprühen? Bei der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ kann das alles passieren.
Die Regisseurin Hannah Biedermann hat mit ihrer Kölner Kinder- und Jugendtheatergruppe pulk Fiktion – sie hat sie zusammen mit der Regisseurin Eva von Schweinitz noch während des Studiums der Szenischen Künste in Hildesheim gegründet – ein interaktives Spiel entwickelt. Das hebt Grenzen zwischen Performern und Publikum auf, balanciert das Machtgefälle zwischen Erziehungsberechtigten und Minderjährigen neu aus.
An der Konferenz kann man derzeit in der Comedia teilnehmen. Anschließend folgt die Produktion einer Einladung zum Westwind-Festival, dem NRW-Treffen der besten Theaterproduktionen für ein junges Publikum. Vergangenes Jahr hatte Biedermann für ihre Bilderbuchadaption „Papas Arme sind ein Boot“ hier den ersten Preis der Jury gewonnen.
„Ich habe mich gefragt, an welchem Ort ein Erwachsener eigentlich ein Kind auf Augenhöhe erlebt?“, erzählt Biedermann. Die Antwort hat sie sich schreinern lassen: Ein großer, schwerer Holztisch, an dem pro Sitzung 20 Menschen ab acht Jahren vor einer Mini-Station Platz nehmen können, die aus zwei Druckknöpfen – grün für ja, rot für „nein“, einer LED-Lampe und einem Hörer besteht. Ein, wie es im Untertitel des Stücks heißt, Gesellschaftsspiel.
Eine Übung in Demokratie, von der Andreas Donau einst sang: „Langweilig wird sie nie.“ In diesem Fall kann sie sogar äußerst lustig sein. Je nach Gruppendynamik, die sich im geschützten Möglichkeitsraum entwickelt, den Biedermann ihrem Publikum zur Verfügung stellt.
Solange sie ihre Füße unter diesen Tisch stellen, haben Erwachsene und Kinder gleich viel oder wenig zu sagen. Der Tisch – unter seiner Mitte verbirgt sich ein Lautsprecher – schlägt Regeln vor. Aber die können von der Wahlfamilie abgelehnt und durch selbst aufgestellte Regeln ersetzt werden. Ein nassforscher Junge, erzählt Biedermann, hate etwa vorgeschlagen, dass jeder Erwachsene einem Kind zehn Euro schenkt. Leider überwog die Ü-18-Fraktion am Tisch und lehnte wenig überraschend ab.
Auch in ihren traditionelleren Inszenierungen versucht die Regisseurin eine Begegnung zwischen den Menschen, die auf der Bühne stehen, und denen, die im Parkett sitzen, zu schaffen. Auf keinen Fall will sie dem jüngeren Publikum vom Podest herab predigen. „Ich versuche, die Performer als sie selbst auf die Bühne zu stellen. Jedes Problem, das wir behandeln, betrachten wir auch aus dem eigenen Blickwinkel.“ Das konnte man zuletzt in der Comedia beim Recherchenstück „Methode Baklava“ erleben: Drei Schauspielerinnen, die Kinder, Publikum und sich selbst zum Thema „Mutter sein“ befragten.
Auch bei der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ sollen sich die Teilnehmer auf keinen Fall genasführt fühlen. „Wir geben keine Konflikte in die Gruppe, die nicht vorhanden sind. Es geht ja auch nicht darum, zu behaupten, dass alle gleich sind. Wir wollen herausfinden, wer in einem bestimmten Moment den besseren Zugang zu Regeln und Aktionen des Spiels finden.“
Die Ergebnisse der bisherigen Aufführungen waren durchaus überraschend. Eine Gruppe schwer erziehbarer Jugendlicher benahm sich denkbar brav und regelkonform, während manche Erwachsene nach einer kurzen Aufwärmzeit das Kind in sich, wenn nicht gleich die Sau rauslassen. „Am anarchischsten sind aber die jüngeren Kinder“, sagt Biedermann. „Die genießen die neue Freiheit. Da ist Sprengstoff drin!“
von Christian Bos
Kölner Stadt-Anzeiger, 14/15.5.2015
Saarbrücker Zeitung, sbu, 13.10.2016
„… Denn wir sollen alle das Gleiche trinken. Müssen wir? Können wir Regeln nicht auch brechen? Wir reden, lachen, verhandeln, machen und merken: Wir haben ja Spielräume und – sind wir nicht schon eine Gruppe? Darauf einen Sekt. Doch halt: Dürfen die Kinder selbst entscheiden, ob sie auch davon trinken? …“
Schraege Suche nach dem Wesentlichen
Festival Loostik: Bonner Ensemble hinterfragt gewitzt die Zukunft der Familie
Was macht eine Familie aus. Wer gehört dazu, wer nicht? Und wer bestimmt überhaupt die Regeln unseres Zusammenlebens? Um all das drehte sich im Theater im Viertel die „Konferenz der wesentlichen Dinge“.
Saarbrücken. Die Bonner Gruppe Pulk Fiktion gibt dem „Theater für die ganze Familie“ eine ganz neue Wendung. Denn was ist überhaupt eine Familie? Können dazu nicht mehr gehören als Mutter, Vater, Kinder? Nach welchen Regeln wollen wir miteinander klarkommen? Wer soll bestimmen? Brauchen wir ein Oberhaupt?
Um all das soll es in der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ gehen. Im Theater im Viertel erwartet uns ein Tisch. Fünf Kinder und 15 Erwachsene suchen ihre Plätze, nicht vergeben nach Verwandtschaft, sondern nach Nummern und dem Zufallsprinzip.
Zwei Spielleiterinnen begrüßen uns als ihre „utopische Familie“ und erläutern uns das Kästchen, das vor jedem Platz steht. Es hat einen roten und grünen Knopf zum Abstimmen und einen Hörer am langen Kabel, aus dem empfängt jeder später nur für ihn hörbare Aufgaben. Hast du heute dein Frühstück selbst gemacht? Hast du Lust auf Unvernünftiges? Hast du eine Haftpflichtversicherung? Willst du bei einer Party Geschirr aus Porzellan oder Pappe? Seltsame Fragen tönen aus dem Off. Wir drücken folgsam aufs Knöpfchen und stimmen auch zehn Regeln zu, die wir befolgen werden.
Die wohl wichtigste heißt: Jeder hat die gleichen Rechte. Während man sich noch fragt, was das alles soll, amüsieren wir uns schon prächtig. Bald schon ähnelt das Arrangement einer Party: Die Spielleiterinnen reichen uns Porzellanteller, eine Platte mit Kuchen. Schon wieder sollen wir abstimmen: Orangensaft oder Wasser? Denn wir sollen alle das Gleiche trinken. Müssen wir? Können wir Regeln nicht auch brechen? Wir reden, lachen, verhandeln, machen und merken: Wir haben ja Spielräume und – sind wir nicht schon eine Gruppe? Darauf einen Sekt. Doch halt: Dürfen die Kinder selbst entscheiden, ob sie auch davon trinken?
Die Großen zaudern, die Kleinen pochen auf die Regel: gleiche Rechte! Und entscheiden, nicht zu trinken.
Und siehe da: Auf die Frage, was Kinder von Erwachsenen unterscheide, weiß am Ende kaum jemand eine Antwort. Waren das nun „die wesentlichen Dinge“? Wer weiß. Nur so viel ist sicher: Alle haben mitgemacht. Und lustig war’s auch.
Saarbrücker Zeitung, sbu, 13.10.2016
Letzeburger Journal, Simone Molitor, 29.12.2016
„… Überrascht stelle ich fest, zu welch erstaunlichen Gedankengängen „unsere“ Kinder fähig sind. Sie haben mich längst in ihren Bann gezogen. Selten hatte ich in diesem Jahr so viel Spaß bei einer Konferenz. Und um wesentliche Dinge ging es tatsächlich, nämlich insbesondere um die Frage, was passiert, wenn Familie nicht mehr der Natur gehorchen muss. …“
Rollen außer Kraft
Als Undercover-Journalistin bei der „Konferenz der wesentlichen Dinge
Wenn man eigentlich nur stiller Beobachter sein will und es dann heißt, „nein, das geht so nicht“, muss man wohl oder übel, sozusagen als Undercover-Journalistin, mitmischen. Mit einer gewissen Nervosität, oder nennen wir es aufgeregte Vorfreude, betrete ich an diesem Mittwochvormittag die „Rotondes“. Ich habe mich zur „Konferenz der wesentlichen Dinge“ angemeldet: eine interaktive Performance oder vielmehr ein „theatrales Gesellschaftsspiel“ der deutschen Performancegruppe „pulk fiktion“. Ein paar gespannte Kinderaugen schauen mich an, als ich mir mein Namensschildchen anstecke. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, jetzt muss ich mich zum Affen machen und Theater spielen. Ob sie auch so aufgeregt sind wie ich? Bestimmt nicht, weil Kinder sich ja gar nicht erst so viele Gedanken machen wie wir Erwachsenen. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich jedenfalls felsenfest genau davon überzeugt. Im Laufe der nächsten zwei Stunden werde ich allerdings eines Besseren belehrt.
Die beiden Performancekünstler, beziehungsweise Spielleiter, Norman Grotegut und Manuela Neudegger lotsen uns – neun Erwachsene und fünf Kinder – in den Saal an unseren Spieltisch. Jeder hat eine Art Konsole mit einem roten und einem grünen Knopf sowie einem herausziehbaren Hörer vor sich. „Herzlich willkommen bei der Konferenz der wesentlichen Dinge. Heute geht es um Wesentliches“, tönt es aus einem Lautsprecher. Wir sollen Familie spielen. Ich bin immer noch skeptisch. Immerhin dürfen wir die Spielregeln selbst bestimmen. Allerdings sollen die Erwachsenen dem Impuls widerstehen, die Kinder zu ermahnen oder zu belehren, derweil die Kinder nicht das machen müssen, was die Erwachsenen sagen, diese Rollen sind nämlich für die nächsten zwei Stunden außer Kraft gesetzt. „An diesem Tisch hat niemand mehr oder weniger Macht, nur weil sie oder er älter ist. Hier hat jeder das Sagen. Das ist die einzige Regel dieser Konferenz. Alles andere entscheidet Ihr“, erklärt die Stimme aus dem Lautsprecher. „Na, das kann ja heiter werden“, denke ich. Und doch ist die Entscheidung längst gefallen: Ja, ich werde mich darauf einlassen. Nicht, dass ich noch eine Wahl hätte…
Aus dem anfänglich schüchternen Lachen unserer bunt zusammengewürfelten Gruppe wird schnell schallendes Gelächter. Das Eis ist nach wenigen Minuten gebrochen. Auch ich fühle mich wohler, drücke je nach Frage mal den grünen, mal den roten Knopf, abhängig davon, ob ich mit etwas einverstanden bin oder eben nicht. Wenn das rote Lämpchen an meiner Konsole aufleuchtet, halte ich mir den Hörer ans Ohr und tue, was mir die Stimme sagt, schreie bei drei laut auf, flüstere meinem Nachbar etwas ins Ohr, gebe zu, dass ich mich vergangene Woche mindestens einmal ungerecht behandelt gefühlt und noch dazu irgendetwas zum ersten Mal gemacht habe. Was genau, bleibt natürlich mein Geheimnis. Nachdem die ersten Hemmungen überwunden sind, stellen wir unsere Spielregeln auf, beziehungsweise stimmen über zehn vorgegebene Regeln ab, müssen allerdings für jede abgelehnte eine neue finden. Sehr schnell entwickelt das Ganze eine Eigendynamik, es werden angeregte Diskussionen geführt, sodass sich unsere beiden Spielleiter Manu und Norman getrost zurückziehen können und nur eingreifen, wenn unser Spiel zu sehr ins Stocken gerät. Dann sind sie da, um geschickt, mit viel Humor und Scharfsinn, wieder eine Gesprächs- und Verhandlungssituation auf Augenhöhe zu schaffen.
Überrascht stelle ich fest, zu welch erstaunlichen Gedankengängen „unsere“ Kinder fähig sind. Sie haben mich längst in ihren Bann gezogen. Selten hatte ich in diesem Jahr so viel Spaß bei einer Konferenz. Und um wesentliche Dinge ging es tatsächlich, nämlich insbesondere um die Frage, was passiert, wenn Familie nicht mehr der Natur gehorchen muss. Wir probieren es aus, gehorchen, widersprechen, stimmen ab, spielen Politik, essen zwischendurch Kuchen, diskutieren, lachen, beobachten und staunen. Ziel ist es nicht, allgemeingültige Antworten zu finden, sondern unseren Blick zu öffnen.
Mir geben zum Schluss besonders die Aussagen der Kinder zu denken, die erklären sollen, was ein Erwachsener in ihren Augen überhaupt ist. „Eine Person, die mehr Macht und mehr Erfahrung hat“ klingt noch nachvollziehbar. Auch die Beschreibung, „jemand, der Entscheidungen treffen kann“, leuchtet ein, obwohl sich die achtjährige Hannah sofort dagegen wehrt, denn „auch ein Kind sollte entscheiden dürfen, wenn seine Idee besser ist“. Das findet auch der zehnjährige Max, der noch dazu erklärt, dass es für ihn einen klaren Unterschied zwischen „erwachsen sein“ und „ein Erwachsener sein“ gibt. „Erwachsen sein, hat nichts mit dem Alter zu tun, das ist bei jedem anders, und irgendwie bleibt man doch immer auch ein bisschen Kind“, ist er sich sicher. Und genau das haben ausnahmslos alle Teilnehmer an diesem Vormittag so empfunden. Die Undercover-Journalistin ebenfalls.
Letzeburger Journal, Simone Molitor, 29.12.2016
NACHGEFRAGT
Jedes Mal anders
Rund 60 Vorstellungen der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ haben die beiden Performancekünstler Manuela Neudegger und Norman Grotegut bereits gegeben. Selbstverständlich ist jede Vorstellung anders, weil die Gruppe ändert und somit nichts nach Drehbuch läuft. „Natürlich ist man immer etwas nervös, weil man das Publikum nie einschätzen und demnach auch nie alles genau vorbereiten kann. Trotzdem hat sich inzwischen eine gewisse Routine eingespielt. Schief gelaufen ist das Ganze noch nie“, erklärt Norman. „Die ersten Male waren wir ein bisschen unsicher und haben deshalb öfter eingegriffen. Ohne Publikum konnten wir ja nicht wirklich proben. Die Premiere war sozusagen unsere erste Probe. Am Anfang hatten wir also etwas Angst, dass sich die Leute langweilen. Inzwischen wissen wir aber, dass es besser ist, wenn wir uns öfter zurückziehen, weil sich die Teilnehmer dann mehr trauen, mehr selbst spielen, statt sich zurückzulehnen und uns die Spielführung zu überlassen“, meint Manu. „Die Dynamik ist immer ganz unterschiedlich, genau wie die Diskussionen, die geführt, oder die Regeln, die aufgestellt werden, demnach der ganze Spielverlauf“, fügt sie hinzu. Spaß macht es aber immer.
Christoph Braun, Braunschweiger Zeitung, 15.12.2014
„…Es ist ein Gesellschaftsspiel in echt. Derartige Mitmachproduktionen sind derzeit en vogue, doch gehen sie häufig noch schief: weil sie sich selbst viel zu ernst nehmen. Der Ton dieser Konferenz klingt von Beginn an leicht und heiter, das immerhin.{…}
Dafür gelingt Pulk Fiktion mit der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ etwas anderes: Man lernt wildfremde Menschen schnell kennen und auch einzuschätzen.“
Wesentlich?
Der Holztisch formt ein Quadrat. Drauf stehen Geräte aus einer entlegenen Zeit: rotes Knöpfchen, grünes Knöpfchen, ein Kopfhörer für ein Ohr, herausnehmbar. Nun blinkt eines der Geräte. Die Person dahinter nimmt den Anruf entgegen, steht auf und flüstert dem Nachbarn etwas ins Ohr.
Eine stille Post kommt in Gang. An deren Ende zählt jemand am Tisch bis drei. „Woooaaarrrr!“ Alle schreien laut auf. Die Tür des Theaterpädagogischen Zentrums in Braunschweig öffnet sich, und zwei Menschen bringen Mandelkuchen, Saft und Wasser.
Mit dieser Szene beginnt sie richtig, die „Konferenz der wesentlichen Dinge“ der Hildesheimer Gruppe Pulk Fiktion. In ihrer Anordnung beschäftigen sich Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz mit der Familie: mit den dort herrschenden Regeln, mit dem Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern.
Ein etwa 5 Jahre alter Junge ist am Sonntag der Jüngste am Tisch, ein ca. 45 Jahre alter Mann der Älteste, die Geschlechter sind in etwa gleich verteilt.
Die Aufwärmphase gilt dem Training an den Universalgeräten. Sie dienen der Kommunikation der Menschen am Tisch wie auch der Kommunikation zwischen Regie und Tisch: In dieser Produktion ist der Gast gleichzeitig Akteur. Einer Schauspielerin und einem Schauspieler kommt in dieser Konstellation eine Sonderrolle zu: Sie halten das Geschehen am Laufen, stellen Fragen, machen Vorschläge. Sie dienen als Garanten des Fortschritts am Tisch.
Es ist ein Gesellschaftsspiel in echt. Derartige Mitmachproduktionen sind derzeit en vogue, doch gehen sie häufig noch schief: weil sie sich selbst viel zu ernst nehmen. Der Ton dieser Konferenz klingt von Beginn an leicht und heiter, das immerhin.
Was aber ist das Wesentliche? Tja. Das ist die Frage. Zwar zielen die Fragen auf die Familie ab. Und mit der eingangs beschriebenen Essenssituation wird auch eine archetypische Familienszene heraufbeschworen. Es wird gemeinsam gegessen, jemand erhält von der Regie den Anruf, doch bitte eine Ansprache zu halten. Manche versuchen sogar, der Aufforderung nachzukommen, sich eine Schlacht mit dem Sahnespender zu liefern.
Der Familie mit ihren langsam entstehenden Ritualen, Gewohnheiten, unbeabsichtigten Gemeinheiten jedoch ist in dieser Aufstellung von etwa 80 Minuten nicht beizukommen.
Dafür gelingt Pulk Fiktion mit der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ etwas anderes: Man lernt wildfremde Menschen schnell kennen und auch einzuschätzen – oberflächlich.
Christoph Braun