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All about nothing

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Wie werde ich zu der, die ich bin, durch das was ich habe? Kann ich alles werden, wenn ich nur fest genug an mich glaube? Oder ist Armut erblich? Oder ist Geld nur eine Erfindung? Was heißt es, mitten im Überfluss arm zu sein?

All about Nothing sensibilisiert Zuschauer ab 12 Jahren für die sozialen Machtstrukturen einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft und schafft eine Öffentlichkeit für die Perspektive von Kindern und Jugendlichen in Armut. Dabei richtet pulk fiktion den Blick auf deren Sichtbarkeit sowie Unsichtbarkeit im sozialen Leben.

Die performative Collage, basierend auf einer intensiven Recherche mit Kindern und Jugendlichen, sucht nach unerwarteten und überraschenden Sichtweisen jenseits von Stigma und Romantisierung.
Mit unterschiedlichen Mitteln wie Sprache, Tanz, Zeichnungen, Projektionen, Musik und nicht zuletzt den O-Tönen der Kinder und Jugendlichen selbst, wird eine fiktive Armutsbiografie entworfen. Dabei wird die soziale Dimension von Kinderarmut und ihre kulturell und medial geprägten Bilder aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und szenisch erforscht. Assoziativ-poetische Bilder stehen neben schmerzlich realen.

Lied

Nur wer am Abgrund steht, dem wachsen Flügel.

Man muss die Löcher kennen, um nicht hinein zu fallen.
Nur wer schon mal am Boden lag, der weiß wie frisch der Rasen riecht.
Erst wenn du von der Leiter stürzt, weißt du wie hoch sie eigentlich ist.

Nur wer um sein Leben rennt, bleibt fit.

Wenn du total am Ende bist, warst du immerhin schon einmal da.
Nur wer auch einmal stecken bleibt, hat Zeit sich auch mal umzuschauen.
Wenn du die Welt gesehen hat, weißt du wie scheiße sie ist.

Es gibt keinen Abstieg,
höchstens den fehlenden Arschtritt,
Es gibt keinen Abstieg
Denn wer wirklich will, kann auch was werden.
Es gibt keinen Abstieg,
nur motivierende Niederlagen.

Festivals und Auszeichnungen

  • Heidelberger Stückmarkt 2017 – JugendStückePreis Heidelberger Stückemarkt

  • WESTWIND Festival 2017 –  Fachjurypreis UND Jugendjurypreis

  • SPIELARTEN 2017

  • echt.jetzt! Festival 2017

  • Vis-à-Vis Festival 2017

  • Kinder- und Jugendtheatertage LOT 2017

  • Nominierung Kölner Kinder – und Jugendtheaterpreis 2017

  • Festival Politik im Freien Theater 2018

Hier geht es zum kunstvermittelnden Begleitmaterial

SENSORISCHE REIZE & INHALTE
BESETZUNG

Konzept: pulk fiktion
Regie: Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz
Mit: Norman Grotegut, Elisabeth Hofmann, Manuela Neudegger, Sebastian Schlemminger
Ausstattung: Stephanie Zurstegge
Choreografie: Elisa Hofmann
Sounddesign und computergesteuerte Elemente: Sebastian Schlemminger
Dramaturgie/NRW Stipendium: Carina Eberle
Produktion: Zwei Eulen – Büro für Kulturkonzepte

Uraufführung: 05.06.2016
Rechte: Beim Theater

Eine Koproduktion von pulk fiktion mit dem FFT Düsseldorf und dem Theater Bonn. In Kooperation mit dem Freien Werkstatt Theater Köln. Gefördert durch die Stadt Köln, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und den Fonds Darstellende Künste.

TECHNIK

Spieldauer: ca. 65 Minuten
Anzahl der Mitwirkenden: 4D + 1T
Zielgruppe: Kinder ab 12 Jahren und Erwachsene
Zuschauerzahl: max 150 Zuschauer*innen

Bühne: mind. 8m x 8m, Höhe 3,5m, Maße können ggf. abweichen – nach Absprache.
Raum muss verdunkelbar sein.

Licht/Ton: Schweinwerfer werden vom Haus benötigt. Lichtpult wird mitgebracht. Tonanlage wird vom Haus benötigt, wird aber von der Bühne aus gesteuert.

PRESSE

Auswahljury WESTWIND 2015
„…Humorvoll, durchdacht und scharfsinnig stellen die Theater- und Spielemacher die Vorstellung von Familie, Machtverhältnissen und Vertrauen auf den Prüfstand. pulk fiktion schafft eine Gesprächs- und Verhandlungssituation auf Augenhöhe. Hier wird nicht vermutet, was Kinder interessiert, sondern mit ihnen gemeinsam gestaltet, gelacht und diskutiert…“

Begründung Auswahljury WESTWIND Festival

„Eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe aus Kindern und Erwachsenen trifft sich zu einer „Konferenz der wesentlichen Dinge“. Und hier fängt der kluge Schachzug der Theatergruppe pulk Fiktion schon an: An einem Tisch müssen sich alle Teilnehmer des Gesellschaftsspiels auf die gleichen und vor allem unbekannten Spielregeln einlassen. Das verbindet! Denn es gibt keinen Wissensvorsprung und kein Machtgefälle. Jede Entscheidung wird gemeinsam getroffen. Und so werden alle für eineinhalb Stunden zu einer Wahlfamilie. Humorvoll, durchdacht und scharfsinnig stellen die Theater- und Spielemacher die Vorstellung von Familie, Machtverhältnissen und Vertrauen auf den Prüfstand. pulk fiktion schafft eine Gesprächs- und Verhandlungssituation auf Augenhöhe. Hier wird nicht vermutet, was Kinder interessiert, sondern mit ihnen gemeinsam gestaltet, gelacht und diskutiert.“

nachtkritik.de, Michael Wolf, 04.05.2017
„…“All about nothing“ ist ein Stück darüber, nicht mit den Freunden Geburtstag zu feiern, nicht ins Kino zu gehen und die Ferien-Erzählungen der anderen so zu genießen wie den eigenen niemals angetretenen Urlaub. Dabei ergeht sich die Inszenierung nicht in Betroffenheit. Stattdessen zeigt sie etwaigen Betroffenen im Publikum, dass sie nicht allein sind, und sensibilisiert andere, dass das Thema Geld umso dringlicher wird, wenn es nicht nur um die Entscheidung zwischen PS 3 und 4 geht. Und damit haben pulk fiktion den Heidelberger Stückemarkt reich beschenkt.“

Du bist nicht allein

Heidelberg, 4. Mai 2017. Kann mir einer von euch zwanzig Euro leihen?“, fragt Manuela Neudegger ins Publikum. „Ich meine das ernst. Ich brauch die jetzt wirklich.“ Schnell ist eine Erwachsene aus dem Publikum bereit, der Performerin einen Schein zu reichen. „Du kriegst sie auch nachher zurück.“ Der Schein landet unter einer Kamera und wird auf den Vorhang im Hintergrund der Bühne projiziert. Da hängt es nun, das Objekt der Sehnsucht. „Liebe zwanzig Euro. Wir haben uns schon lange nicht mehr gehört. Aber jetzt brauche ich dich sehr“, wird Neudegger später beten.

Nicht von Geld handelt „All about nothing“, sondern von seinem Fehlen. Die Gruppe pulk fiktion nähert sich dem Thema Kinderarmut mit einer bunten Inszenierung aus Musik, dokumentarischem Material, Zeichnungen und Tanzeinlagen. Wunderbar etwa die Choreographie, in der sich das gesamte Ensemble in ein Glitzertop zwängt und sich mit all jenen solidarisiert, die das Wort „auftragen“ am eigenen Leib erleiden.

Ohne pädagogisches Schreckgespenst

Die Koproduktion mit dem FFT Düsseldorf und dem Theater Bonn folgt einer rückwärts ablaufenden Chronologie von Lebensjahren. Die Bedürfnisse von Kindern verkleinern sich im Laufe des Stücks, werden immer bescheidener. Aber ob alt oder jung, kleine oder große Wünsche – erfüllt werden sie nicht. Pulk fiktion lassen Heliumluftballons mit Alterszahlen von 21 bis 0 Richtung Bühnendecke schweben. Wenn Träume fliegen lernen, sind sie irgendwann weg.

„Es gibt keinen Abstieg, höchstens den fehlenden Arschtritt / Es gibt keinen Abstieg / Denn wer wirklich will, kann auch was werden“, singt Sebastian Schlemmiger. Von wegen. Pulk fiktion zeigen Armut als strukturelles Problem, an dem Kinder nur das Leid, aber keine Schuld tragen.

Die Stückentwicklung basiert auf Interviews. Treten die Performer auf Kontaktstellen auf dem Bühnenboden, sind Auszüge aus den Gesprächen zu hören. Eine sehr kluge Entscheidung, Kinder selber zur Wort kommen zu lassen. So sprechen pulk fiktion nicht über sie (hinweg) und vermeiden auch das ästhetische Schreckgespenst vieler Jugendstücke: pädagogischen Anspruch.

Was alles nicht geht

Die Interviewten erzählen, wann und wie oft sie in den Urlaub fahren, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben und was sie sich für ihre Zukunft wünschen. Und einige erzählen erschreckend gefasst von einem Leben, geprägt von Entbehrungen. „All about nothing“ ist ein Stück darüber, nicht mit den Freunden Geburtstag zu feiern, nicht ins Kino zu gehen und die Ferien-Erzählungen der anderen so zu genießen wie den eigenen niemals angetretenen Urlaub. Dabei ergeht sich die Inszenierung nicht in Betroffenheit. Stattdessen zeigt sie etwaigen Betroffenen im Publikum, dass sie nicht allein sind, und sensibilisiert andere, dass das Thema Geld umso dringlicher wird, wenn es nicht nur um die Entscheidung zwischen PS 3 und 4 geht. Und damit haben pulk fiktion den Heidelberger Stückemarkt reich beschenkt.

nachtkritik.de, Michael Wolf, 04.05.2017

Kultur-Extra, Karoline Bendig, 09.10.2016
„…Statt ihre Zuschauer mit Fakten zuzuschütten, entwickelt pulk fiktion eine Aufführung, die ihren Charme und ihre Eindringlichkeit zwischen kleinen Spielszenen, Projektionen, Zeichnungen und bei Musik entfaltet. (…) Auch für Erwachsene bietet All about Nothing genügend Material zum Nachdenken darüber, dass manche Kinder von Anfang an keine Chance haben, einem Teufelskreis aus Armut und sozialem Elend zu entgehen. …“

Vom täglichen Stigma der Armut

Bewertung: 4/4 Sterne

Wer wissen will, wie viele kluge Gedanken und Recherchearbeit hinter dem Abend All about Nothing der Bonner Theatergruppe pulk fiktion steckt, dem sei ein Blick in die begleitende Dokumentation der Dramaturgin Carina Eberle empfohlen, die sich auf der Homepage der Gruppe [s.u.] findet. Auf der Bühne im Freien Werkstatt Theater Köln ist davon einiges, aber erfreulicherweise nicht alles zu sehen. Statt ihre Zuschauer mit Fakten zuzuschütten, entwickelt pulk fiktion eine Aufführung, die ihren Charme und ihre Eindringlichkeit zwischen kleinen Spielszenen, Projektionen, Zeichnungen und bei Musik entfaltet.

Kinderarmut ist ein Thema, das erst kürzlich wieder durch eine aktuelle Studie in den Fokus gerückt wurde. Laut dieser Studie der Bertelsmann-Stiftung sind in Deutschland über zwei Millionen Kinder und Jugendliche von Kinderarmut betroffen und damit in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt. Ein hochaktuelles Problem also, dessen sich die mit dem diesjährigen George-Tabori-Förderpreis ausgezeichnete Theatergruppe annimmt. Der lose Rahmen von All about Nothing ist ein Kind, dem immer wieder ein Luftballon zum Geburtstag überreicht wird. Nur beginnt dieses Spiel mit dem 21. Geburtstag und endet am Anfang des Lebens. Allerdings wird im Verlauf der knapp 60 Minuten Spieldauer keine stringente Geschichte erzählt, vielmehr gibt es einzelne kleine Szenen, mal ein Lied darüber, wie es ist, am Abgrund zu stehen, eine Sequenz dazu, dass viele Kinder arbeiten (etwas Zeitung austragen), um Geld zu verdienen, oder eine Anleitung einer fiktiven Bloggerin, wie man das klauen kann, was man gerne haben möchte und dabei zugleich einer Strafe entgeht.

In einer performativen Collage entsteht so eine fiktive Armutsbiografie. Die vier Darsteller (unter ihnen auch ein Musiker und eine Tänzerin) stellen sich dabei zu Beginn dem Publikum vor und treten auch regelmäßig mit diesem in Kontakt. Die Bühne ist schlicht gehalten: ein heller Raum, nach hinten begrenzt durch eine Art Streifenvorhang, durch den die Auftritte erfolgen. Links steht ein Mikrofon, rechts ein (Technik-)Pult mit der Möglichkeit, Zeichnung auf den Vorhang zu werfen, die größtenteils live entstehen. Immer wieder werden, über Kontakte im Boden, O-Töne von Kindern eingespielt. In denen geht es u.a. darum, was die Kinder werden wollen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Von einer heilen Familie ist dort oft die Rede und von einem Beruf, mit dem man Geld verdienen kann. Aber auch Begehrlichkeiten sind Thema bzw. Ausreden, wenn man bei Aktivitäten nicht mitmachen kann.

Die Macher hinter pulk fiktion richten ihr Stück an Zuschauer ab 12 Jahren. Und so wird der eine oder andere Jugendliche vielleicht eine Situation wiederkennen, in der er sich selbst befunden hat oder die ihn oder sie an das Verhalten eines Mitschülers erinnert. Sensibilisierung ist das Stichwort der Gruppe zu diesem Thema. Aber auch für Erwachsene bietet All about Nothing genügend Material zum Nachdenken darüber, dass manche Kinder von Anfang an keine Chance haben, einem Teufelskreis aus Armut und sozialem Elend zu entgehen. Ein Aspekt, der dabei vielleicht etwas kurz kommt: Es sind nicht nur die Elends- und Hartz-IV-Biografien ganzer Familien, die bei Kinderarmut eine Rolle spielen. Vielmehr trifft Armut auch oftmals Kinder von Alleinerziehenden. Und das ist für ein reiches Land wie Deutschland wahrlich kein Ruhmesblatt. pulk fiktion kommt das Verdienst zu, dieses Thema spielerisch anzupacken, ohne einen moralischen Zeigefinger zu erheben.

Kultur-Extra, Karoline Bendig, 09.10.2016

Thomas Hag, Rheinische Post, 7.6.2016
„…Fernab von Sozialromantik und politisierter Opferrolle hat pulk fiktion, basierend auf Recherchen mit Kindern und Jugendlichen, ein Stück erarbeitet, das eben nicht mit dem mahnenden Zeigefinger agiert, sondern aus Originalaufnahmen und poetischen Szenen eine Realität schafft, die eindringlich ist…“

Wie Kinder träumen und was sie sich wünschen

Eines vorweg: pulk fiktion, die zumindest bei der Namensgebung an billige Taschenbücher oder Quentin Tarantinos Film erinnern, sind würdige Preisträger. Das Theater-Kollektiv wurde nämlich jüngst mit dem George-Tabori-Förderpreis für die Freie Theaterszene ausgezeichnet. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und gilt als hierzulande als einer der wichtigsten für die freie Theaterszene. Aber zurück zu dem „Pulk“, der sich mit Kinderarmut eines ebenso aktuellen wie schwierigen Themas angenommen hat. Fernab von Sozialromantik und politisierter Opferrolle hat pulk fiktion, basierend auf Recherchen mit Kindern und Jugendlichen, ein Stück erarbeitet, das eben nicht mit dem mahnenden Zeigefinger agiert, sondern aus Originalaufnahmen und poetischen Szenen eine Realität schafft, die eindringlich ist.

Dabei kommen die Ensemblemitglieder Elisabeth Hofmann, Norman Grotegut, Manuela Neudegger und Sebastian Schlemminger im FFT erst einmal gar nicht so kindgerecht daher – denn sie verzichten auf eine lineare Erzählstruktur. Wir lernen die Protagonisten jeweils an ihrem 21. Geburtstag kennen, wenn der goldene Ballon, mit dem gefeiert wird, zerplatzt. Oder vielmehr schon lange geplatzt ist, denn die Geburtstage kommen immer wieder, von dem des kleinen Kindes bis zu dem der jungen Erwachsenen.

Per Fuß-Klick werden O-Töne abgerufen und die Stimmen der Schauspieler mit denen von Kindern kontrastiert. Da ist von Träumen und Wünschen die Rede, der eine will Arzt werden, die andere möchte eine Familie mit zwei Kindern haben, oder auch nur ein Dach über dem Kopf und ein gemütliches Sofa. Die Realität scheint immer wieder einen Strich durch die Rechnung zu machen, sozialer Abstieg und Isolation drohen. Minimalistische Keyboardklänge begleiten das Stück auf eine süffisante Weise. „Es gibt keinen Abstieg, es gibt nur die Möglichkeiten des Scheiterns“, heißt es. Mit großem Beifall wird die frische Inszenierung unter der Regie von Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz belohnt, weil der Humor nicht zu kurz kommt.

Thomas Hag, Rheinische Post, 7.6.2016

Pamela Broszat, Neue Rheinische Zeitung 7.6.2016
„…Gradlinig und unaufgeregt zeigen sie {pulk fiktion} den gesellschaftlichen Zynismus, der sich wie eine Decke über die Kinder legt und sie mit ihren Nöten unsichtbar macht…“

Was man will, das kann man. Echt jetzt?

Ein klares Stück über Kinderarmut vor Ort

Wie fühlt sich für ein Kind Armut an? Hier, in unserer Überflussgesellschaft, die Chancengleichheit propagiert und leichtlippig behauptet, man könne alles schaffen, man müsse es nur genug wollen. Mit „All about Nothing – Ein Stück über Kinderarmut“ bewegt die Performancegruppe „pulk fiktion“ das FFT-Premierenpublikum. Gradlinig und unaufgeregt zeigen sie den gesellschaftlichen Zynismus, der sich wie eine Decke über die Kinder legt und sie mit ihren Nöten unsichtbar macht. All about Nothing – überall nichts: In Deutschland lebt jedes fünfte Kind unterhalb der Armutsgrenze.
Auf der Bühne der Kammerspiele wird die Geschichte des 21. Geburtstags einer Frau erzählt. Sie blickt Jahr um Jahr auf ihr Leben zurück. Weder zornig noch mutlos, dennoch ist die Aussichtslosigkeit auf Erfolg, auf ein Leben diesseits von Hartz IV zu spüren. Mit einem Führerschein ließe sich leichter eine Lehrstelle finden – aber wie den finanzieren, wenn die Familie von öffentlichen Mitteln lebt? Jobben gehen, um für die Fahrschule Geld zu verdienen, klappt nicht, dies Einkünfte werden auf das Familieneinkommen angerechnet. All about Nothing – überall nichts: Das gesellschaftliche Credo „Du kannst alles werden, wenn du es nur willst“, klingt hier bitter.
Authentizität erhält die Aufführung durch die eingespielten Statements. Die Theatergruppe hatte in Köln und Düsseldorf mit Kindern und Jugendlichen über ihre Situation gesprochen, hat ihnen zugehört.
Mach was aus dir, hören die. Spiel Schlagzeug in einer Band, die nie probt. Du kannst alles werden, was du willst. Mach etwas mit den anderen zusammen. Am See Geburtstag feiern, Tretboot fahren, grillen. In die Stadt fahren, shoppen gehen…All about Nothing – überall nichts: Ohne Geld keine Teilhabe.
Die Wünsche der Heranwachsenden klingen bescheiden. Geld verdienen für eine eigene Wohnung, ein Mann haben und zwei Kinder. Oder absurd, wenn ein Kind Medizin studieren will. Die Saturierten der Gesellschaft wissen, dass es die falsche Startnummer ins Leben gezogen hat. All about Nothing – überall nichts.

Neue Rheinische Zeitung, Pamela Broszat, 07.06.2016

Kölnische Rundschau, Brigitte Schmitz-Kunkel, 2016
„Doch nicht nur [die jungen Zuschauer] können staunen, wie fantasievoll und leichtfüßig die Regisseurinnen Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz das Thema Kinderarmut anpacken.“

Wenn schon der Anfang nicht stimmt

Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man das auch. Oder vielleicht nicht? Ist der, aus dem nix wird, selber schuld? Dass nicht immer etas hinkommt, wo nichts ist, und warum das so ist, zeigt das preisgekrönte Bonner Ensemble pulk fiktion in seinem Jugend-Stück „All about Nothing“ im Freien Werkstatt Theater. Im Rahmen seines Spielzeit-Schwerpunkts „Arm und reich“ bietet die Südstadt-Bohne in Kooperation mit dem FFT Düsseldorf und dem Theater Bonn nach Jahren erstmals wieder Theater für junge Zuschauer ab 12 an. Doch nicht nur die können staunen, wie fantasievoll und leichtfüßig die Regisseurinnen Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz das Thema Kinderarmut anpacken.
Mit einem simplen Trick wird klar, dass der Schritt ins erwachsene Leben schwer wird, wenn es schon am Anfang nicht stimmt: pulk fiktion erzählt seine Geschichte rückwärts. Mit 21 schreibt Manu noch mal einen aufmunternden „Brief an mich selbst“, mit 19 sitzt sie im Supermarkt an der Kasse, mit 18 will sie Tiermedizin studieren, doch der realistische „Plan B ist Einzelhandel“. Wer 16 ist und das angesagte Shirt nicht hat, ist draußen. Norman Grotegut, Elisa Hofmann und Sebastian Schlemminger quetschen sich zu dritt in die schicke Glitzerhülle. Manuela Neudegger bleibt außen vor – eines der verblüffend einfachen, poetischen Bilder der Inszenierung, die ihr Thema spielerisch mit Tanz (Elisa Hofmann), Projektionen, Geräuschen und Musik (Sebastian Schlemminger) transportiert – und ihm durch eingeflochtene O-Töne von Kindern und Jugendlichen beklemmende Tiefe gibt.
Ist Armut erblich oder nur die mangelnde Chancengleichheit? Wie ist das, wenn die anderen ins Kino gehen und man zu Hause bleiben muss? Wenn die Mutter sich im Sonnenstudio brät, als ihrem Kind ein Spiegel-Ei zum Mittagessen?
In Deutschland leben zwei Millionen arme Kinder und Jugendliche. Die im Dunkeln sieht man nicht – gut, dass pulk fiktion das Licht anmacht.

Kölnische Rundschau, Brigitte Schmitz-Kunkel, 2016

Youpod, Laura, 7.6.2016
„…Die Zuschauer folgen nicht einfach, sie können entdecken. (…) Es wird weder geschönt, noch wird auf die Tränendrüse gedrückt. Es ist ehrlich und klar. Es ist empfehlenswert. …“

Youpod

Das Forum Freies Theater (FFT) zeigte ein Theaterstück über Armut bei Kindern und Jugendlichen. „Empfehlenswert“, findet youpod-Reporterin Laura. Sie sah das Stück, das ganz harmlos mit einem Geburtstag begann und ehrlich und klar weiterging:

Vier Schauspieler stehen locker auf der Bühne. Es gibt eine Vorstellungsrunde. Dann ist die Bühne leer. Es beginnt.
Eine junge Frau erscheint, gefolgt von einem roten Luftballon: Sie feiert ihren 21. Geburtstag, ihre Volljährigkeit. Das nimmt sie zum Anlass, uns auch von ihren vorherigen Geburtstagen zu erzählen, von ihrer Kindheit, geprägt von Alltagsproblemen durch Armut.
Die Basis für die Anekdoten in dem Theaterstück „All about Nothing“ sind Recherchen mit Kindern und Jugendlichen. Dem Zuschauer wird deutlich: Hier werden verschiedene Geschichten zu einer verpackt. Er kann den Techniken folgen, sieht wie was entsteht und freut sich auf immer wieder kommende Überraschungen.

Alles ist eine Collage, entwickelt durch Theater, Performance, Musik und Videoprojektionen. Es ergänzt sich, es ist abstrakt. Die Zuschauer folgen nicht einfach, sie können entdecken.
Ob es sich um Punkte am Boden handelt, bei deren Berührung ein Ton ensteht, oder aber um eine Wand voll Briefkästen, die schnell mal vor der Kamera gezeichnet wird. Es gibt kein starres Bühnenbild. Alles ist dauerhaft in Bewegung, wird entwickelt, wird verändert, wird gelöscht.

Ein Stück über Kinderarmut inmitten eines kapitalistischen Landes. Es wird weder geschönt, noch wird auf die Tränendrüse gedrückt. Es ist ehrlich und klar. Es ist empfehlenswert.

Youpod, Laura, 7.6.2016

Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz im Gespräch mit MeineSüdstadt.de, Alida Pisu, 30.09.2016
Interview der Regisseurinnen zu All about Nothing.

Arme Kinder!

Fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von Armut betroffen. Diese erschreckend hohe Zahl nennt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die gerade erst erschienen ist. Brandaktuell also ist das Stück mit dem Titel „All about Nothing“, das am heutigen Freitag im „Freies Werkstatt Theater“ seine Premiere feiert. Entwickelt und in Szene gesetzt von der Performancegruppe „pulk fiktion“, die „Theater für alle“ macht, so Regisseurin Hannah Biedermann. Auch wenn die Produktionen im Kinder- und Jugendtheater-Bereich angesiedelt sind. Aber: „Jede und jeder ist willkommen, um über Gesellschaft mit nachzudenken.“

Nachgedacht und gesprochen hat „Meine Südstadt“ mit den beiden Regisseurinnen Hannah Biedermann und Eva von Schweinitz.

Meine Südstadt: Wie kamen Sie auf die Idee, ein Stück über Kinderarmut zu machen?
Hannah Biedermann: Wir als freie Gruppe haben uns dem Kinder- und Jugendtheater verschrieben. Deshalb auch Kinderarmut und nicht Armut im Allgemeinen. Das Thema ist mir schon im Studium über den Weg gelaufen. Dafür, dass es eine große Relevanz hat und vor allem Viele betrifft, ist es nach meinem Gefühl aber so, dass es in den Medien sehr wenig vorkommt. Unser Anliegen ist, Themen in der Öffentlichkeit einen Platz zu geben, die sonst wenig Aufmerksamkeit erhalten. Und dann noch mal unter der Perspektive derer, die eben häufig nicht Teil eines Diskurses sind, z.B. die Kinder. Wenn über ein Thema gesprochen wird, ist das ja oft auf der Erwachsenen-Ebene oder ein analytisches „Über Andere sprechen“. Aber aus der Betroffenen-Ebene heraus ein Stück zu machen, war der erste Gedanke, weil wir das wichtig finden.

Gerade eben ist das Thema ja in den Schlagzeilen.
Hannah Biedermann: Es ist erstaunlich, wie oft das so ist, das man ein Thema entdeckt und schwupps, plötzlich ist es total aktuell. Wir fanden es wichtig und erst im Nachhinein wurde es zu einem breiteren Thema.

Eva von Schweinitz: Manchmal arbeitet man an etwas und dann fängt es an, einem immer mehr zu begegnen, man sieht es überall. In unserer Recherche-Phase haben wir viele Artikel gelesen. Wir haben aber auch Jugendzentren aufgesucht und andere Orte, wo zwar alle Kinder und Jugendlichen hinkommen können, wo man aber wahrscheinlich vorrangig Kinder aus sozial schwachen Familien antreffen kann. Es war uns total wichtig, mit den Menschen selber zu sprechen. Man kann aber nicht sagen: „Ach, du bist ja arm, wie geht es dir damit?“ Wir haben eher so aus der Haltung geguckt: „Was ist eure Lebensrealität? Inwiefern ist Geld wichtig? Was würdet ihr machen, wenn ihr hunderttausend Euro hättet oder im Lotto gewinnen würdet? Wie viele Geschwister hast du? Wie sieht’s bei dir zu Hause aus?“ Um ihre Lebenswelt kennenzulernen. Sonst ist es ja auch ein bisschen beleidigend. Viele, die arm sind, sehen sich auch nicht als arm.

Oder schämen sich.
Eva von Schweinitz: Auch das.

Die Uraufführung des Stückes war bereits in Düsseldorf. Waren auch Kinder unter den Zuschauer/innen, die sie interviewt hatten und wie haben die reagiert?
Hannah Biedermann: Ja, die haben positiv reagiert. Da ist man auch erleichtert, weil man ja ein Vertrauensverhältnis eingeht. Man sagt: „Wir sprechen jetzt, wir nehmen das auf, ihr oder eure Eltern unterschreibt, dass wir das benutzen dürfen, aber ihr vertraut uns, dass wir euch nicht bloßstellen oder es so zusammen schneiden, dass ihr anders rüberkommt, als ihr hier wart.“ Letztlich ist es ja anonym, weil kein Name auftaucht und die Stimme nicht zuzuordnen ist. Aber wenn man nur einen Satz nimmt, verkürzt man einen Menschen auf etwas, auch ohne böse Absicht. Davor hatten wir Respekt und dachten: „Hoffentlich passiert das eben nicht, dass Jugendliche sich nicht gut fühlen, wenn sie ihre Stimme hören“, aber das war nicht der Fall. Die waren alle sehr gerührt und auch begeistert und haben sich eher wertgeschätzt gefühlt. Im Sinne von: „Ich habe einen Teil zu diesem Theaterstück beigetragen und das macht mich stolz.“ Und andere Jugendliche haben über das Thema andocken können. Etwa so, dass es sie noch anders berührt, als über das reine Wissen aus der Schule. Oder Kinder, die gesagt haben, sie erkennen ihre eigene Realität wieder und fühlen sich dadurch auch gesehen.

Diese eigene Realität ist ja oftmals bedrückend. Wie wird sie im Stück dargestellt? Auch vielleicht mit einer Vision, was mit den hunderttausend Euro möglich wäre?
Eva von Schweinitz: Zum einen ist uns wichtig, das Thema nicht zu romantisieren oder zu beschönigen. Gleichzeitig wollten wir es aber auch nicht zu einem Betroffenheitsstück machen, sondern mit Humor und Leichtigkeit daran gehen. Grundsätzlich arbeiten wir mit einer nüchternen, klaren Performerhaltung und setzen weniger auf Emotionen und klassische Identifikation. Trotzdem haben wir eine Biographie entwickelt, die rückwärts erzählt wird. Vom 21. Lebensjahr bis zum Tag der Geburt.

Hannah Biedermann: Diese „Stellvertreter“-Biographie besteht aus den ganz vielen verschiedenen O-Tönen. Sie wird von einer Schauspielerin verkörpert, die diese Stimmen in sich vereint, wodurch sich so etwas wie ein Gesamtbild ergibt. Jedes Lebensjahr zeigen wir unterschiedliche Aspekte von Armut, die im jeweiligen Alter relevant für einen Menschen sind.

Warum rückwärts erzählt?
Hannah Biedermann: Es gibt zwar diese eine Figur, aber keine klassische Narration (Erzählung, d. Redaktion), Es geht nicht um die individuelle Lebensgeschichte, sondern erst mal nur um verschiedene Aspekte, die in verschiedenen Lebensaltern relevant sind. Im Kinderalter ist es vielleicht eher so: wer kocht mir das Essen? Da ist man noch abhängiger von seinen Eltern. Später ist es vielleicht das Shirt, das man gerne hätte und das die anderen auch haben. Und dann ist es der Führerschein. Es ist ja nur eine behauptete Biographie, die nur dazu dient zu sagen: das eine führt auch mal zum anderen. Wenn du das nicht hast, dann hast du in Zukunft auch das nicht. Was wir uns vom rückwärts Erzählen erhoffen: also, wenn man das Ganze vorwärts erzählt, hört es einfach mit 21 Jahren auf. Und es könnte die Hoffnung bleiben, dass mit 22 Jahren alles gut wird. Und man bleibt mit seinen Gedanken bei der Person. Für mich ist der Effekt, wenn man am Ende des Stückes bei Null, bei der Geburt ankommt, ein anderer. Die Zuschauer/innen sehen den scheinbaren Anfang, wo noch alles möglich ist und haben aber ja vorher eine Stunde gesehen, dass nichts möglich wird. Man denkt also weniger über die Figur nach, die anscheinend unfähig ist, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen, sondern, wie ich mir erhoffe, über das System. Warum hat dieser Mensch absolut keine Chance? Für uns ist wichtig, dass wir die Gesellschaft befragen, mit ihren Mechanismen. In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Und nicht bei einem Menschen rauskommen, der es vielleicht nicht geschafft hat.

Eva von Schweinitz: Das Thema ist schon bedrückend und das Schlimme ist: wenn man arm geboren wird, ist man schon so benachteiligt, dass es zwar möglich ist, sich daraus zu befreien, aber es ist sehr, sehr schwer. Was wir hinterfragen wollen, ist die Haltung, die in der Gesellschaft sehr präsent ist: man kann es schaffen, man muss halt nur hart arbeiten. Es ist nur das eigene Wollen. Wenn man sich diszipliniert, dann kann man alles erreichen. Da sind wir uns aber nicht so sicher, dass das so stimmt.

Was möchten Sie mit dem Stück erreichen?
Hannah Biedermann: Man hofft als Theatermacherin, ein bisschen die Welt zu verändern. Ich mache auch außerhalb der Gruppe noch vornehmlich Kinder- und Jugendtheater, weil man da ein Publikum hat, was noch nicht so festgefahren ist in den Meinungen. Oder wo sich auch eine Persönlichkeit erst bildet. Und vielleicht kann man da einen kleinen Anstoß geben, der weiterreicht. Mehr als nur: „Das habe ich jetzt gesehen und abgehakt.“ Theater entfaltet ja häufig seine Wirkung erst Wochen und Monate später und vielleicht denkt ein junger Mensch in irgendeinem Moment plötzlich an das, was er bei uns erlebt hat. Grundsätzlich liegt für mich die politische Kraft des Theaters ja darin, das man gemeinsam da sitzt und sich nicht in seinem Kämmerchen alleine fühlt. Dass Betroffene und Nichtbetroffene das Thema teilen und sich beim gemeinsamen Erleben erleben, das allein ist schon heilsam. Daran glaube ich.
Und an Unterhaltung, sonst kann man ja auch einen Zeitungsartikel lesen oder in die Schule gehen. Aber Theater ist ja etwas anderes. Eine Erfahrung machen. Und bei uns sollen sie erfahren, dass man die Welt nicht so hinnehmen muss, wie sie ist. Sie ist ein Konstrukt, das die Menschen gemacht haben. Und ich kann rausgehen und sagen: „Ich kann sie anders machen.“ Mit der Lust am Andersmachen rauszugehen, das wäre das Schönste.

Eva von Schweinitz: Genau. Das kann ich unterschreiben. Vielleicht kann man noch hinzufügen: was wir nicht wollen, ist didaktisch zu sein. Oder zu sagen: „Hier sind die Lösungen. Oder: das sollt ihr denken. Das ist die Aussage.“

Theater also nicht als moralische Anstalt?
Eva von Schweinitz: Wir sind gerne sehr unmoralisch. Es gibt auch eine Szene mit einem Klau-Tutorial, die manche Leute schwierig finden. Aber uns geht es nicht darum, irgendwelche Vorgaben zu machen. Sondern, wie Hannah sagte: die Welt ist konstruierbar und jede und jeder kann selbst entscheiden, wie sie oder er sie gestalten möchte.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für das Stück!