pulk Fiktion gibt das Theatermachen in andere Hände
DIE KONFERENZ DER WESENTLICHEN DINGE: >>Pulk Fiktion<< gibt das Theatermachen in andere Hände.
Auf Augenhöhe arbeiten, Kinder ernst nehmen, Kinder stark machen: Wird Kindertheater diskutiert, machen sich schnell Floskeln breit und ein klebriger Film rhetorischen Anstands schichtet sich fix über das, worum es eigentlich gehen sollte: um Kunst.
Wer vollkommen am Publikum vorbeiinszeniert, beruft sich gerne darauf, dass Kinder von heute nicht mehr in der Lage seien, sich überhaupt auf Theater einzulassen. Alles verändert sich, Kinder eben auch – out-of-time-sein ist keine Tugend.
Kindertheater: Ein schwieriges Unterfangen. Irgendwie durchpädagogisiert, unfrei und selten ergebnisoffen angelegt.
>>Heureka<< ruft da der Zeitgeist, denn >>Pulk Fiktion<< sind da und haben beachtlichen Erfolg mit ihrer ganz eigenen Idee eines Theaters für Kinder.
In ihrer beim diesjährigen Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW (Westwind) präsentierten Arbeit >>Die Konferenz der wesentlichen Dinge<< wird Theater grundlegend anders gedacht. Eine Gruppe von knapp vierzig Menschen trifft aufeinander und kommt nicht daran vorbei, miteinander zu agieren.
Gemeinsam sitzt die Gruppe an allen vier Seiten eines großen Tisches, jeder einzelne Platz verfügt über einen kleinen Apparat, der sich schnell selbst erklärt hat. Zwei Knöpfe und eine Art Mini-Telefonhörer befinden sich in einer kleinen weißen Fassung vor jedem Platz. Dieser kleine Kasten macht unmittelbare Beteiligung am Geschehen möglich.
Eine Off-Stimme fragt die bunt gemischte Gesellschaft scheinbar rein hypothetisch danach, welche Musik man für eine Party auswählen würde: grüner Knopf für laute tanzbare Popmusik, roter Knopf für seichte Beschallung in moderater Lautstärke. Nach diversen weiteren Fragen, die alles mögliche im Bereich des Zusammenlebens betreffen, beginnt plötzlich tatsächlich eine Party. Elemente wie die Art der Musik, wurden je nach Abstimmungsergebnis realisiert. Kuchen wird verteilt, das Lämpchen an meinem Apparat blinkt, ich ziehe den Hörer aus der Fassung und eine Stimme sagt mir, dass ich großzügig Schlagsahne ausgeben soll: Wird erledigt! Ich freue mich Grund zu haben, meinen Platz zu verlassen und jetzt alle Leute anquatschen zu können. Ich bin etwas irritiert, dass meine Sitznachbarin plötzlich auf dem Tisch tanzt. Diskret flüstert sie mir wenig später zu, dass ihr der Auftrag etwas Freches zu tun übermittelt wurde.
Auf diese merkwürdig ferngesteuerte Art und Weise verläuft das komplette kleine Happening, niemand wird zur Rechenschaft gezogen, für das was er oder sie tut – Spielstruktur und Rahmung federn auch alle unorthodoxen und kühnen Individualentscheidung ab. Man erfüllt die diversen Regieaufträge schlicht nach eigenem Ermessen. Irgendwann steht zur Debatte, ob jeder, also auch Kinder, heute Sekt trinken dürfen sollten. Als plötzlich tatsächlich zwei Flaschen auf dem Tisch stehen, wird es brisant. Zwei Mitglieder von Pulk Fiktion setzen sich in moderierender Haltung an den Tisch, es wird diskutiert.
Ein inszenierter Stromausfall sorgt im Laufe der Veranstaltung dafür, dass nur noch ein Drittel der Tisch-Apparate funktionieren, man schließt sich mit seinen Nachbarn zusammen, muss jetzt Entscheidungen diskutieren. Während bei der einen Gruppe hitzig Argumente ausgetauscht werden, scheinen sich andere Zusammenschlüsse wie von selbst zu einigen.
Pulk Fiktion geht einen entscheidenden Schritt weiter, als die Kollegen vom Grips- oder Marabu-Theater. Hier geht es nicht darum, ein politisches Bewusstsein über das Betrachten eines Theaterspiels zu erlangen, welches sich auf die Welt da draußen bezieht. Der Verhandlungsgegenstand entsteht bei der >>Konferenz der wesentlichen Dinge<< innerhalb des Theaterraums. Politik wird gespielt, in einem sicheren Rahmen darf probiert, gewagt und gestaltet werden. Jede Stimme zählt gleich, egal ob man 8 oder 88 ist. Es gibt keinen Verweis auf irgendwelche abstrakten Machtstrukturen – in diesem kleinen Raum entsteht für einen Moment eine autarke Gesellschaft, die die Möglichkeit hat, sich frei und anders zu definieren.
Wem jetzt vor Schrecken das Monokel ins Teetässchen gefallen ist, soll beruhigt werden: Niemand will das obligatorische Weihnachtsmärchen abschaffen, niemand will auf Narration und Einfühlung fußendes Theater für Kinder verbannen. Vielmehr sollte die Arbeit von >>Pulk Fiktion<< klar machen, was Theater sonst noch alles kann. >>Mehr Theater für Kinder<< muss die Antwort sein, sie haben ein Recht darauf andere Formate kennen zu lernen, bei denen Aktivismus nicht abgestraft wird, sondern zu Ergebnissen führt, die das Kunstwerk mitaufnimmt.
Da Gruppen der freien Szene wie >>Pulk Fiktion<< ohnehin Katalysatoren für neue Trends und Entwicklungen im Theaterbetrieb darstellen, ist stark mit Aneignung ihrer Spielstrukturen von Seiten der Stadttheater zu rechnen. Man darf sich auf einiges an Bewegung im Bereich des Kindertheaters freuen. Mit >>Pulk Fiktion<< hat das hiesige Kindertheater seine Avantgarde gefunden, gut so!
– Julian Gerhard