Konferenz presse 2
Demokratie mit Sprühsahne
Die Regisseurin Hannah Biedermann bringt Kinder und Erwachsene an einen Tisch
Fremden Kindern von seinen Beziehungsproblemen erzählen? Unter den prüfenden Blicken der Eltern am Sektglas nippen? Dem Tischnachbarn Sahne auf die Krawatte sprühen? Bei der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ kann das alles passieren.
Die Regisseurin Hannah Biedermann hat mit ihrer Kölner Kinder- und Jugendtheatergruppe pulk Fiktion – sie hat sie zusammen mit der Regisseurin Eva von Schweinitz noch während des Studiums der Szenischen Künste in Hildesheim gegründet – ein interaktives Spiel entwickelt. Das hebt Grenzen zwischen Performern und Publikum auf, balanciert das Machtgefälle zwischen Erziehungsberechtigten und Minderjährigen neu aus.
An der Konferenz kann man derzeit in der Comedia teilnehmen. Anschließend folgt die Produktion einer Einladung zum Westwind-Festival, dem NRW-Treffen der besten Theaterproduktionen für ein junges Publikum. Vergangenes Jahr hatte Biedermann für ihre Bilderbuchadaption „Papas Arme sind ein Boot“ hier den ersten Preis der Jury gewonnen.
„Ich habe mich gefragt, an welchem Ort ein Erwachsener eigentlich ein Kind auf Augenhöhe erlebt?“, erzählt Biedermann. Die Antwort hat sie sich schreinern lassen: Ein großer, schwerer Holztisch, an dem pro Sitzung 20 Menschen ab acht Jahren vor einer Mini-Station Platz nehmen können, die aus zwei Druckknöpfen – grün für ja, rot für „nein“, einer LED-Lampe und einem Hörer besteht. Ein, wie es im Untertitel des Stücks heißt, Gesellschaftsspiel.
Eine Übung in Demokratie, von der Andreas Donau einst sang: „Langweilig wird sie nie.“ In diesem Fall kann sie sogar äußerst lustig sein. Je nach Gruppendynamik, die sich im geschützten Möglichkeitsraum entwickelt, den Biedermann ihrem Publikum zur Verfügung stellt.
Solange sie ihre Füße unter diesen Tisch stellen, haben Erwachsene und Kinder gleich viel oder wenig zu sagen. Der Tisch – unter seiner Mitte verbirgt sich ein Lautsprecher – schlägt Regeln vor. Aber die können von der Wahlfamilie abgelehnt und durch selbst aufgestellte Regeln ersetzt werden. Ein nassforscher Junge, erzählt Biedermann, hate etwa vorgeschlagen, dass jeder Erwachsene einem Kind zehn Euro schenkt. Leider überwog die Ü-18-Fraktion am Tisch und lehnte wenig überraschend ab.
Auch in ihren traditionelleren Inszenierungen versucht die Regisseurin eine Begegnung zwischen den Menschen, die auf der Bühne stehen, und denen, die im Parkett sitzen, zu schaffen. Auf keinen Fall will sie dem jüngeren Publikum vom Podest herab predigen. „Ich versuche, die Performer als sie selbst auf die Bühne zu stellen. Jedes Problem, das wir behandeln, betrachten wir auch aus dem eigenen Blickwinkel.“ Das konnte man zuletzt in der Comedia beim Recherchenstück „Methode Baklava“ erleben: Drei Schauspielerinnen, die Kinder, Publikum und sich selbst zum Thema „Mutter sein“ befragten.
Auch bei der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ sollen sich die Teilnehmer auf keinen Fall genasführt fühlen. „Wir geben keine Konflikte in die Gruppe, die nicht vorhanden sind. Es geht ja auch nicht darum, zu behaupten, dass alle gleich sind. Wir wollen herausfinden, wer in einem bestimmten Moment den besseren Zugang zu Regeln und Aktionen des Spiels finden.“
Die Ergebnisse der bisherigen Aufführungen waren durchaus überraschend. Eine Gruppe schwer erziehbarer Jugendlicher benahm sich denkbar brav und regelkonform, während manche Erwachsene nach einer kurzen Aufwärmzeit das Kind in sich, wenn nicht gleich die Sau rauslassen. „Am anarchischsten sind aber die jüngeren Kinder“, sagt Biedermann. „Die genießen die neue Freiheit. Da ist Sprengstoff drin!“
von Christian Bos
Kölner Stadt-Anzeiger, 14/15.5.2015