Im digitalen Wunderland
Altbekannt ist die Schelte auf die Jugend, die vor lauter Konsum der Social Media gar nicht mehr dazu kommt, eine Meinung über das, was sich in der Welt ereignet, zu entwickeln und kein, aktuell so dringend gebotenes, politisches Engagement zeigt. Diese Vorurteile greifen die Mitglieder des Kölner Theaterkollektivs „pulk fiktion“ auf. Sie haben sich auf eine Reise in das Land der sozialen Medien begeben und kehren genauso verwirrt aus diesem Wonderland zurück wie wir, die nicht mit den Selbstverständlichkeiten eines „Digital Natives“ ausgestattet sind. Auch „pulk fiktion“ glaubt an die Kraft der Aufklärung, wenn auch alles gegen sie spricht. Sehr dem Licht, das den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Mündigkeit führen soll, verpflichtet, macht sich die Gruppe auf den Weg der Recherche. Da ist dann vom Band zu hören, was Jugendliche auf die Frage nach ihrem Engagement antworten. Das erscheint wie von Frage zu Frage zu einer Struktur geordnet. Und da Regisseurin Hannah Biedermann immer neue Wege versucht, wird jede Inszenierung von ihr spannend. Bei „Trollwut“ hat sie ein neues Genre erfunden: das „Diskursmusical“. Das geht dann so: Wenn man sich in der Argumentation festgefahren hat, legen sich meist alle zu Boden, es folgen ein kurzes Dunkel und dann rotes Licht, das Ensemble erhebt sich, macht Musik, singt und tanzt (Choreographie: Elisa Hofmann). Oft wird dann auch laut gelacht, wenn ich als Zuschauer auch nicht genau weiß, warum. Denunziationsgelächter? Verzweiflung?
Da sind wirklich Trolle auf der Bühne. Ria Papadopoulou stattet die vier Spieler und Musiker mit riesigen surrealen Perücken aus, hingegen finden sich in der Kleidung, die vornehmlich aus „haarigen“ Elementen besteht, eher Show-Elemente. Auch ihr Bühnenbild ist eine Mischung aus Showbühne und digitalem Assoziationsraum. Vor einer Hintergrundwand aus Spiegelfolie sind im Raum vier Mikrofone auf Ständern verteilt, denen jeweils vier Stapel an verschiedenen Lautsprecherboxen zugeordnet sind. Im Dunkel leuchten die Kabel der Ständer auf dem beigefarbenen Teppichboden, den man nur barfuß betreten darf. Musikalisch ist das Ensemble hervorragend aufgestellt. Nicolas Schneider und Connie Frieder treiben das Ensemble mit bekannten Melodien voran, die manchmal neue Texte bekommen. Das ist einfach gut gemacht.
Aber auch Hannah Biedermann hat mit den Tücken eines Musicals zu kämpfen, die Musik ist immer lauter ausgesteuert als die menschliche Stimme. Manuela Neudegger und Norman Grotegut machen das hervorragend, sie sind immer zu verstehen, während Nicolas Schneider und Connie Trieder immer dann, wenn scheinbar „privat“ auf der Bühne operiert wird, eher leise vor sich hinmurmeln. Aber hier agiert ein Ensemble, das ein Anliegen hat. Und nicht lügen möchte. Nach einem mutigen Auftritt gegen den neuen Faschismus gibt es ein leises Nachspiel: Man hat keine Lösung, nur die Hoffnung, dass die Vernunft der Aufklärung sich durchsetzen möchte.
Dem Jungen Nationaltheater Mannheim ist für den Mut zu danken, diese Produktion koproduziert zu haben.