Schall ist ansteckend
Musiktheater Bruit und Pulk Fiktion philosophieren im Kindertheaterhaus über Klang, Universum und den ganzen Rest
Mathe, Physik, Philosophie? Ganz schön kompliziert. Aber: „Musik ist leicht zu verstehen – einfach mal hinhören!“ Die freien Theatergruppen Musiktheater Bruit und Pulk Fiktion haben sich viel vorgenommen für ihr gemeinsames Stück „Galaktika Silencia“ im Kindertheaterhaus. Kleine Zuschauer ab sechs Jahren wollen sie nicht nur inspirieren, dem Klang in ihrer Wahrnehmung der Welt ein wenig mehr Raum zu geben. Sie ermöglichen als galaktische Supergroup auf Planeten-Tournee Perspektiven in gleich zwei Richtungen. Außerirdisch betrachtet wird mancher Alltagston zum faszinierenden Ereignis. Vor allem aber öffnen die Weltraumreisenden eine Tür zu den unendlichen Weiten ansonsten sehr abstrakter Gebiete. Musiktheater wird auf diese Weise spielerisch zu Wissenschaftstheater mit hohem Anspruch.
Die Theatermacher verharren keinesfalls bei der kindlichen Faszination für Planeten, Raketen und fremde Lebensformen. Schräge Songs, popkulturelle Referenzen, Musik- und Klangexperimente machen bei „Galaktika Silencia“ nicht nur Kindern und Erwachsenen gleichsam einen Riesenspaß. Sie funktionieren vor allem auch als geschickt gebaute Trojanische Pferde für gedankliche Reisen in die Wissenschaften. Schallwellen, Raumzeit, Lichtgeschwindigkeit, Wurmlöcher, Relativitätstheorie? Kindgerecht? Für manches, was selbst viele Erwachsene nur schwer begreifen können, finden die beiden Theaterkollektive bestechend einfache Beispiele und poetisch einprägsame Bilder. Ein Bühnenbild voller Reifenschläuche hilft nicht nur dabei, gummistauchend Raumkrümmung zu demonstrieren. Aufgetürmt werden sie auch schnell zu einem eindrucksvollen schwarzen Loch.
Schwarze Löcher? War da nicht gerade was? Selbst die unlängst in Hannover erstmals nachgewiesenen Gravitationswellen werden auf der Bühne vorstellbar. Die Vereinigung zweier schwarzer Löcher als Mischung aus Balztanz, Ballett und Autoscooter zu den bereits von Stanley Kubrick im All etablierten Klängen von Richard Strauss ist ausreichend albern, um dabei fast unbemerkt in die Theorie zu gleiten. Klar doch: Warum soll man so etwas nicht auch weit weg und viel später noch hören können? Das mit den Schallwellen ist ja spätestens mit der Laola-Welle im Publikum klar geworden. Und dass sich auch Erschütterungen übertragen, haben die pulsierenden Gummireifen gezeigt.
Natürlich ist „Galaktika Silencia“ kein Kongress für Astrophysiker. Dennoch nimmt es sein Publikum ernst. Macht nachhaltig neugierig, das Erlebte irgendwann nochmal genau zu erforschen. Und stiftet gleich noch dazu an, sich nicht auf Oberflächlichkeiten zu verlassen. Vorsichtshalber immer nochmal gründlich hinter die Dinge zu schauen. Forschungsuftrag erteilt.
Hannover Allgemeine Zeitung, 18.03.2016, Thomas Kaestle